1987

Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie

Vorwort des Herausgebers und Inhaltsverzeichnis

Aus Psychoanalyse im Rahmen der Demokratische Psychiatrie (1987), herausgegeben vom Institut für analytische Psychotherapie, Zürich-Kreuzlingen, Band I, S. vii–ix.

 Inhaltsverzeichnis

Als Menschen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Ersten Welt leben, und zwar z.T. von Geburt an in hochindustrialisierten städtischen Zentren, sind die meisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Institut für analytische Psychotherapie nicht nur von Berufs wegen, sondern auch durch gewisse Inhalte, die sie im Laufe ihrer Entwicklung aufgenommen und sich zu eigen gemacht haben, mit der Psychoanalyse verbunden. So wäre ihre Erziehung vermutlich anders, weniger human gewesen, wenn Sigmund Freud keine Wirkung auf das Bewusstsein zahlloser Menschen gehabt hätte, die an ihrer Sozialisation massgeblich beteiligt waren. Ferner ist Freud und manchen anderen Psychoanalytiker wie Paul Federn, Otto Fenichel und Gaetano Benedetti sowie Psychoanalytikerinnen wie Melanie Klein, Anna Freud und Edith Jakobson ein spezieller Dank für Leistungen auszusprechen, die dazu beitrugen, dass der vor allem psychisch leidende Mensch heute eine Chance sieht, sich von besonders quälenden Aspekte seiner Not zu befreien. Dass die Psychoanalyse als Theorie und als Therapie viele Hoffnungen nicht erfüllt hat, die manche Leute in sie setzten, schmälert an sich nicht ihre Bedeutung. Ein Ziel dieser Veröffentlichung besteht gerade darin, die Leser erfahren zu lassen, dass Menschen, die Psychoanalyse oder psychoanalytische Psychotherapie praktizieren, in unmittelbarer Konfrontation mit leidenden Personen wirkungsvoll therapeutische Dienste leisten können und dass sie häufig imstande sind, sich mit Fragen des Menschen in seiner Gestörtheit und in seiner Fähigkeit zu gesunden, gedanklich auseinandersetzen und zur Klärung dieser Fragen beizutragen.

Gleichzeitig müssen viele im Institut für analytische Psychotherapie feststellen, dass es ihnen an einer Theorie der Persönlichkeit und an einer Theorie der Therapie des psychisch leidenden Menschen mangelt, die einerseits nicht in schwerwiegendem Widerspruch zum wissenschaftlich- technischen Fortschritt stehen und die es ihnen andererseits ermöglichen, die humanistischen Grundsätze, die ihnen aus allen Teilen der Welt von Vertretern der verschiedenen Klassen vermittelt worden sind, im Sinne eines sozialen und geistig-kulturellen Fortschritts zu verwirklichen und zu fördern. Jedoch ist man im Institut für analytische Psychotherapie dabei, einige dieser theoretischen Lücken zu füllen sowie die therapeutische Arbeit weiterzuentwickeln. Die von Psychoanalytikern entworfene Objektbeziehungstheorie dient z.B. Institutsmitgliedern als Basis für eine vielversprechende Rezeption der Arbeiten aus der kulturhistorischen Schule, von der im Kapitel I die Rede sein wird. Und auf therapeutischem Gebiet hat sich im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie eine Menge getan, worüber man sich freuen darf, auch wenn einiges an dieser Entwicklung begründet kritisiert werden kann.

Ganz kurz gefasst, gehen Mitarbeiter am Institut für analytische Psychotherapie davon aus, dass der Mensch als Individuum Subjektcharakter hat. Er ist durch individuelle Subjektformen gekennzeichnet, d.h., er verhält sich als Einzelwesen stets aktiv, zielsetzend und zielstrebig und wird nicht nur von der Natur und den Mitmenschen beeinflusst, sondern wirkt selbst auf die Natur und die Mitmenschen in einer für ihn charakteristischen Art und Weise. In diesem Spannungsverhältnis zwischen den unpersönlichen Einflüssen der Natur und der menschlichen Tätigkeit, deren Produkt er ist, und den Veränderungen in der Natur und den Veränderungen im Verhalten der Mitmenschen und seiner selbst, die er in die Wege leitet, in diesem Spannungsverhältnis ist der Mensch unter dem Stichwort «geschichtliches Wesen» zu erfassen. Ob besonders bekannt und einflussreich oder unbekannt und kaum fähig, sein Wirkungsvermögen zu entwickeln, befindet sich jeder Mensch mit seiner jeweils einmaligen, unaustauschbaren Existenz in geschichtlichen Zusammenhängen, die es ihm u.a. ermöglichen, ein Bewusstsein zu bilden, das ihn ganz speziell kennzeichnet und ihm eine gewisse Stabilität in den Austauschverhält­nissen mit den Mitmenschen und der Natur überhaupt gewährleistet.

Menschen werden jedoch in ihrem Sein und So-Sein nicht adäquat erfasst, wenn man sie nur oder vorwiegend in ihren individuellen Subjektformen untersucht. Die kollektiven und gesellschaftlichen Subjektformen des Menschen sind ebenso zu berücksichtigen. So beeinflussen die individuellen, kollektiven und gesellschaftlichen Subjektseiten einander je nach den in historisch-konkreten Situationen vorhandenen Dominanz- und Machtverhältnissen. Menschliches Streben mit bestimmten Zielsetzungen vollzieht sich in Abhängigkeitsverhält­nisse, die herausfordern, hemmen und verpflichten, die entstehen, bestehen und vergehen oder sich verändern lassen. Ausschlaggebend für das Schicksal des Menschen scheint seine eigene Tätigkeit zu sein.

Nach dieser Auffassung vom Menschen kann die Not, unter der man gestern litt, heute behoben werden. Und die Probleme, die man heute feststellt oder selber schafft, kann man sogleich angehen, um sie morgen reduziert oder gelöst zu sehen. Dass es allerdings Schwierigkeiten, ja erhebliche Widerstände gibt, die sich der Linderung und Beseitigung menschlicher Not entgegenstellen, werden die Leserinnen und Leser auf den kommenden Seiten reichlich zur Kenntnis nehmen können.

Institut für analytische Psychotherapie

 


Band I

Zur Bestimmung der Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie.

Freud, wie jeder Mensch, der die Kompliziertheit des Lebens nicht der trügerischen Einfachheit starrer Denkschemata opfert, hat eine Menge widersprüchlicher Dinge gesagt. Er kann zur Unterstützung vieler verschiedener Ansichten zitiert werden. Darf ich ihn zum Schluss zur Unterstützung meiner eigenen zitieren?

Hans W. Loewald (1960), On the Therapeutic Action of Psychoanalysis. Paper on Psychoanalysis. Newhaven und London: Yale University Press, 1980, S. 225.

I.
Institut für analytische Psychotherapie
Über die Arbeit am Institut für analytische Psychotherapie

II.
Norman Elrod
Funktionieren, Schöpferisch-tätig-Sein und Arbeiten. Zum Verständnis dieser Orientierungshilfen in der Psychoanalyse

III.
Norman Elrod
Die Psychoanalyse

IV.
Norman Elrod
Die Psychotherapie der Schizophrenie auf dem Hintergrund der philosophischen Anthropologie und Erkenntnistheorie

V.
Paolo Tranchina
Franco Basaglia in Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse

VI.
Roberto Schöllberger
Umgestaltung der psychiatrischen Versorgung in Italien und ihre rechtlichen Grundlagen

 

Band II

Ausgewählte Vorarbeiten zur Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie – Einige Wegbereiter der Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie.

VII.
Norman Elrod
Gruppen- und Einzelpsychotherapie chronisch schizophrener Patienten: 16 Kurzberichte

 VIII.
Norman Elrod
Anmerkungen zu Problemen in einer heutigen Nervenheilanstalt

IX.
Norman Elrod
Die «Brückedeutung» in der Psychotherapie schizophrener Patienten

X.
Norman Elrod
Zur Grundlage der Beziehung zwischen dem Patienten und dem Therapeuten in der schizophrenen Situation

XI.
Norman Elrod
Von einer Krise in der schizophrenen Situation



Einige Wegbereiter der Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie.

XII.
Norman Elrod
Alfred Adler im Spiegel der Protokolle der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung

XIII.
Norman Elrod
Carl Furtmüller: Ein starkes, wenn auch nicht langjähriges Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung auf dem Wege zur Demokratisierung des Erziehungswesens

XIV.
Norman Elrod
Paul Federn, August Aichhorn und Ernst Federn: Vorläufer der Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie

XV.
Hedi Haffner-Marti
Hans Christoffel: Ein Pionier der Psychoanalyse in der Schweiz

XVI.
Norman Elrod
Martti Siirala: Verfechter einer Psychoanalyse, die sich selbst hinterfragt und bereit ist, sich in Frage stellen zu lassen

 

Band III

Einige Aspekte der Psychiatrie aus der Sicht der Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie – Die Verwirklichung der Menschenrechte: Ein Grundanliegen der Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie.

Irgendeinmal wird das Gewissen der Gesellschaft erwachen und sie mahnen, dass der Arme ein ebensolches Anrecht auf seelische Hilfeleistung hat wie bereits jetzt auf lebensrettende chirurgische … Dann werden also Anstalten oder Ordinationsinstitute errichtet werden, an denen psychoanalytisch ausgebildete Ärzte angestellt sind, um die Männer, die sich sonst dem Trunk ergeben würden, die Frauen, die unter der Last der Entsagungen zusammenbrechen drohen, die Kinder, denen nur die Wahl zwischen Verwilderung und Neurose bevorsteht, durch Analyse widerstands- und leistungsfähig zu erhalten. Diese Behandlungen werden unentgeltlich sein. Es mag lange dauern, bis der Staat diese Pflichten als dringend empfindet … aber irgendeinmal wird es dazu kommen müssen.

Dann wird sich für uns die Aufgabe ergeben, unsere Technik den neuen Bedingungen anzupassen. Ich zweifle nicht daran, dass die Triftigkeit unserer psychologischen Annahmen auch auf den Ungebildeten Eindruck machen wird … Möglicherweise werden wir oft nur dann etwas leisten können, wenn wir die seelische Hilfeleistung mit materieller Unterstützung nach Art des Kaiser Josef vereinigen können.

Sigmund Freud (1919), Wege der psychoanalytischen Therapie. Gesammelte Werke, Band XII. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1972, S. 192–193.

 

XVII.
Hans Red, Norman Elrod, Dagmar Kötscher und Hartmut Rostek
Standortbestimmung der Psychoanalyse in Beziehung zur Sozialpsychiatrie

XVIII.
Dagmar Kötscher
Therapeutische Kräfte im Individuum, in der Institution und in der sozialen Umwelt. Ein Beitrag zur sozialpsychiatrischen Behandlung der Schizophrenie

XIX.
Dagmar Kötscher
Analyse und Perspektiven der Arbeits- und Beschäftigungstherapie aus der Sicht der Demokratischen Psychiatrie

XX.
Hans Red
Eine unheimische Wirklichkeit: Lebensbelastungen von italienischen Gastarbeitern in der Schweiz

XXI.
Dagmar Kötscher
Tendenzen und Probleme der Psychiatrie in der Schweiz



Die Verwirklichung der Menschenrechte:
Ein Grundanliegen der Psychoanalyse im Rahmen der Demokratischen Psychiatrie

Wollen wir zusehen, wie die Nebelwand zwischen den Menschen, Klassen, Rassen und Völkern durch die modischen Psychologien nur immer mehr sich verdichtet, anstatt dass sie, wie man doch von Wissenschaft und Menschenkunde erwarten sollte, endlich zerrissen wird? …
Es ist tragisch, aber wahr: Auch der sublimste erkenntnistheoretische Idealismus führt unweigerlich zum Solipsismus, zur Vergottung des Ichs, einer Elite, einer Rasse und endet schliesslich im blutigsten Imperialismus.

John F. Rittmeister (1982), Voraussetzungen und Konsequenzen der jungschen Archetypenlehre. Psyche, 36:1042.

 

XXII.
Dorothee Jüngst
Vergeltung müsste nicht sein. Versuche zur Aufhebung unversöhnlicher Standpunkte am Beispiel der Antigone des Sophokles

XXIII.
Dagmar Kötscher
Für die Befreiung der Frauen – Für die Befreiung aller Menschen

XXIV.
Norman Elrod
Das Recht auf nationale Selbstbestimmung als das erste aller Menschenrechte: Zwei historische Beispiele

XXV.
Norman Elrod
Menschenrechte für wen? Für alle. Zum Ringen um Verständnis und um Überwindung der Verhältnisse der Unterdrückung in den USA am Beispiel der unterdrückten indianischen Nationen

 

Band IV

Zur Erläuterung des Einsatzes für die Unterdrückten.

XXVI.
Norman Elrod
Psychoanalyse darf nicht Bejahung von Unterdrückung sein

XXVII.
Norman Elrod
Identifizierung mit den Unterdrückten. Die Psychoanalyse in Beziehung zur kulturhistorischen Schule und Befreiungstheologie

XXVIII.
Uwe Friedrich
Beim Helfen lernte ich mehr darüber, was Helfen heisst: Über einen sechswöchigen Arbeitseinsatz als Arzt in einem Armenviertel von Cali, Kolumbien