2002
Psychotherapie der Schizophrenie – Einführung
von Alberta B. Szalita
Aus Psychotherapie der Schizophrenie. Rückblick auf eine 50-jährige Arbeit als Psychoanalytiker und Supervisor in psychiatrischen Institutionen (2002), herausgegeben von Norman Elrod, S. xvii–xxiv.
Bei dieser Einführung handelt es sich um die Montage aus einem Aufsatz von 1994, vollständig erschienen in: Israel Journal of Psychiatry and Related Sciences, 31:106–114. Aus dem Englischen übersetzt von Martin Schätzle. Die Autorin ist mit der Bearbeitung ihrer Schrift als Einführung zu diesem Buch einverstanden.
Meine persönliche Bekanntschaft mit der Psychotherapie war das Ergebnis einer dreimonatigen Therapie, der ich mich an einem schwierigen und kritischen Punkt meines Lebens unterzog. Das war im Frühjahr 1948, als ich Studentin an der School of Public Health der John Hopkins Universität in Baltimore war. Diese Erfahrung führte mich anschliessend zur psychoanalytischen Ausbildung. Der Ertrag dieser drei Monate war überwältigend für mich; damals hielt ich das Ergebnis für phantastisch. Die Therapie eröffnete mir eine neue Welt und gab meinem privaten und meinem beruflichen Leben eine neue Richtung. Seither hatte ich nie den geringsten Zweifel, dass Psychotherapie eine äusserst nützliche und wirksame Behandlungsmethode sei, und vielleicht ist es richtiger, sie eine Nacherziehung zu nennen.
In all den folgenden Jahren beschäftigte mich die Frage, wie gut Psychotherapie genutzt wird und bei wem sie zur Anwendung kommt. Hier haben wir also das erste Dilemma, wann und warum versagt sie? Und wie kommt es, wenn sie wirkt? Ein weiteres Dilemma ist: wie Psychotherapie beschreiben, wie sie definieren oder wie über sie berichten? Es ist einfach zu sagen, dass Sitzungen haben und miteinander plaudern nicht notwendigerweise bedeutet, eine wirkliche Psychotherapieerfahrung gemacht zu haben, aber das heisst nicht, dass gewisse Menschen Psychotherapie nicht brauchen. Ich habe oft gesagt, dass derjenige, der diese Erfahrung gemacht hat, sie nie vergessen wird und dass derjenige, der diese Erfahrung nicht gemacht hat, es nie glauben wird. Sehr viel hängt von den Erwartungen und den Versprechen ab, die der Therapeut macht, wenn man sich in Behandlung begibt. Ich werde später versuchen, diese Fragen zu erläutern, sobald ich mich einigen klinischen Überlegungen zuwenden werde.
Wir beschäftigen uns hier mit Veränderung, und wir müssen dabei allgemeine Veränderungen auf diesem Feld berücksichtigen und Veränderungen, die das Ergebnis des psychotherapeutischen Prozesses im Besonderen sind. Auch wenn in den 45 Jahren, seit ich dieses Feld anpackte, zahlreiche Veränderungen eingeführt wurden, können wir ganz allgemein feststellen, dass in gewisser Weise alles beim Alten geblieben ist. Wir können es mit zwei sich widersprechenden Sprichwörtern ausdrücken: plus ça change, plus c’est la même chose und tempora mutantur et nos mutamur in illis, etwas, das ich vor langer Zeit gelernt habe: Die Zeiten ändern sich, und wir verändern uns mit ihnen.
Meine Schulung stammt von der intensiven Psychotherapie mit Schizophrenen in Chestnut Lodge. Es war ein sehr guter Platz, um Psychotherapie zu lernen. Zu meinem Glück war ich dort zu einem ausserordentlich fruchtbaren Zeitpunkt in der Geschichte der Klinik, von 1949 bis 1953, sechs Monate nach [Harry Stack] Sullivans Tod. Sein Einfluss durchdrang alles; er war ein herausragender Kliniker. Wir schützten das Selbstwertgefühl der Patienten sehr und verhielten uns äusserst respektvoll gegenüber den Schizophrenen. Das Ausdrücken von Aggression ermutigten wir weniger, als es nach der gängigen Mode in den damaligen psychiatrischen Kreisen üblich war.
Frieda Fromm-Reichmann war meine Supervisorin. Sie hatte nicht die quasi-religiöse Einstellung bezüglich der Befolgung der strengen analytischen Regeln, die damals üblich war. Die Ent-Religiosifizierung des Fachgebiets hat seit jener Zeit definitiv stattgefunden, auch wenn denjenigen von uns, die mit Fromm-Reichmann arbeiteten, die Freiheit schon damals gewinkt hatte. Trotzdem sollte betont werden, dass ihre Art, Prinzipien der Psychotherapie zu betonen, der beste Zugang zu jeder Diskussion darüber bleibt, wie Psychotherapie wirkt, indem sie nämlich diejenigen Prinzipien erörtert, die während der Sitzungen Anwendung finden (Principles of Intensive Psychotherapy1) bleibt bis heute eine der besten Einführungen in die Psychotherapie). Ein anderes zentrales Thema, das sich nicht verändert hat, ist die Maxime «Erkenne dich». Als eine der ältesten Prinzipien der Philosophie bleibt sie auch heute noch gültig. Wie weit man in diesem Wissen über sich kommen kann, das wechselt von Fall zu Fall, und ich zweifle daran, ob wir jemals die Grenzen dieses Wissens erreichen können. Sokrates sagte, ein Leben ohne Selbsterforschung sei es nicht wert, gelebt zu werden.2) Auch wenn ich sagen würde, das Leben ist es wert, mit oder ohne Selbsterforschung gelebt zu werden, so stimme ich doch mit Sokrates überein, dass es weit besser ist, sich so weit als möglich erforscht zu haben, ganz besonders in unserem Beruf. Selbsterforschung bleibt der Kern des therapeutischen Prozesses; die Wirksamkeit der Selbsterforschung aber hängt von der Bereitschaft unserer Patienten ab, die korrektiven Interventionen zu integrieren. Wie wir aus Sokrates’ Beispiel wissen, kann man sie nicht jedem zumuten. Sokrates versuchte es und bezahlte dafür mit seinem Leben (es ist gut, die Apologia immer wieder einmal zu lesen). Zum Glück entgehen wir seinem Schicksal, aber wir bleiben nicht ohne Schrammen, wenn wir die strenge psychoanalytische Methode bei Personen anwenden, die dafür weder geeignet noch bereit sind. Sie vergeben uns niemals, selbst wenn sie zu unseren Kollegen werden. Selten hören wir von unseren Erfolgen, aber laut und deutlich hören wir von unseren Misserfolgen. Meistens wird dem Patienten die Schuld für den Misserfolg gegeben, während den Therapeuten im allgemeinen Schuldgefühle plagen.
… Ich bin der Meinung, dass die Ergebnisse von der Qualität des Bündnisses zwischen Therapeut und Patient abhängen und ganz besonders von der Synchronisation der Haltungen und der Austauschprozesse zwischen den beiden Partner. Man kann von einer Art aufmerksamer Gegenseitigkeit sprechen, so dass sich Therapeut und Patient in der Interaktion, die sich zwischen den beiden ergibt, gemeinsam bewegen und eine echte Zusammenarbeit errichtet wird. Der Erfolg ist eine Lernerfahrung, ein Zuwachs an psychischer Integration und Selbstbewusstsein. Das wiederum führt zu einer erhöhten Präzision des Denkens, einer verbesserten Selbstkontrolle und einem grösseren Selbstvertrauen. Kurz, der Prozess erzeugt Persönlichkeitsveränderungen und ein Zuwachs an Vertrauen in unsere bewussten und unbewussten Fertigkeiten …
Der Therapeut muss in der Lage sein, die Seite des Patienten zu sehen … Es ist nicht immer leicht, auf der Seite des Patienten zu stehen, denn das setzt voraus, dass der Therapeut seine Denkgewohnheiten und seine hergebrachte Art zu antworten ändert und dass er seine habituelle Neigung umkehrt, zuerst zu hören, wo der Patient falsch liegt, und stattdessen sehen zu lernen, wo er richtig liegt. Die Seite des Patienten zu sehen … zielt darauf ab, den Narzissmus des Patienten zu schützen. Der «Ja, aber …»-Reflex, an den die Leute gewöhnt sind, hilft dem Patienten nicht. Er führt zur Debatte, nicht zur Integration. Indem wir dem Patienten zu zeigen versuchen, dass er falsch liegt, betreten wir häufig das Feld seiner akuten Verletzbarkeit, was Wachsamkeit erfordert, um nicht paranoide Reaktionen anzustacheln.
… Es leuchtet ein, dass man zu besseren technischen wie auch theoretischen Ergebnissen gelangt, indem man präzisere klinische Daten veröffentlicht als die Verallgemeinerungen, die einen so grossen Teil der psychiatrischen Literatur ausmachen. Wir wissen, wie komplex unsere Arbeit ist, und wie ungern wir zeigen, was wir bei unserer Arbeit tun. Ich weiss, dass das für mich zutrifft. Nur dann fühle ich mich mit meinen Mitteilungen wirklich wohl, wenn ich ein konkretes klinisches Beispiel zitiere, um daraus ein allgemeines Prinzip abzuleiten …
Eine Vignette
Ein Patient hatte aussergewöhnliche Fortschritte gemacht. Als wir über die Beendigung der Therapie sprachen, erwähnte ich die Schwierigkeit, zufriedenstellend Rechenschaft darüber abzulegen, was in den Monaten geschehen sei, die wir mit gemeinsamer Arbeit verbrachten. Er sagte, er erinnere sich an alles und er wolle es für mich aufschreiben. Ich war sehr neugierig und dachte, dass ich endlich einmal in der Lage sein werde, das, was meiner Meinung nach geschehen war, mit seinen Beobachtungen und Erfahrungen zu vergleichen. Ich meinte sogar, ich würde eine bessere Beschreibung dessen haben, was ich mit ihm gemacht hatte, als ich zu geben fähig wäre. Leider konnte er meinen Erwartungen nicht entsprechen, aber er bestätigte einige meiner Annahmen.
Er schrieb:
Im Frühjahr 1987, nach einer Schnellfeuer-Salve schlecht bewältigter seelischer Verletzungen, wurde ich zunehmend depressiv und suchte nach einer geraumen Zeit Hilfe bei einem bekannten Psychoanalytiker. Ich begann sofort, ihn fünf Mal in der Woche zu sehen und nach jeder Sitzung fühlte ich mich zunehmend schlechter. Er entpuppte sich als ein Widersacher, der mir nicht nur Trost oder Medikamente vorenthielt, sondern es darauf abzusehen schien, mich mit eisigem Tonfall, äusserstem Mangel an Empathie und sogar Spott noch weiter zu erschüttern. Ich erzählte ihm, dass ich suizidal sei. Er veränderte sich in nichts.
Mitte Dezember 1987 schluckte ich eine kleine Handvoll Schlaftabletten in einem verzweifelten Versuch, zu unterbrechen, was unerträgliche Angst und Schlaflosigkeit zu sein schienen, die mein Funktionieren arg beeinträchtigten; und ich landete im New York Hospital, wo ich drei oder vier Tage blieb. Als ich zu meinem «Analytiker» zurückkehrte, war er sogar noch feindseliger und abweisender. Als Antwort auf meine bange Frage «Was wird aus meinem beruflichen Ansehen?» (jedermann in der internationalen Dermatologie und Pathologie wusste von diesen Ereignissen) antwortete er: «Und was ist mit meinem Ansehen?» Mein Zustand verschlimmerte sich wieder, und bald kam ich auf eine geschlossene Abteilung des Columbia Presbyterian Medical Center. Nach mehreren Wochen schätzte man mich als entlassfähig ein, allerdings unter der Auflage, dass ein Psychiater «draussen» mich als Patient annimmt. Keiner meiner Kollegen würde dazu bereit sein. Über 20 weigerten sich, mich zu übernehmen.
Sein jüngerer Bruder brachte den Patienten im Januar 1988 in meine Praxis. Ein Professor für Innere Medizin, der sein Klassenkamerad gewesen war, überwies ihn an mich. Er berichtete mir, dass der Patient ein Genie sei. Ich erklärte allen unmissverständlich, dass ich ihn nicht in Behandlung nehmen werde. Ich würde einen Therapeuten für ihn finden. Als ich ihn traf, beeindruckte er mich als ein aussergewöhnlicher Mann. Er war 50, fähig, mir eine kurzgefasste Anamnese zu geben. Er wurde auf einer geschlossenen Abteilung behandelt, als er mich besuchte. Trotz meiner Entschlossenheit, in meinem Alter keinen Patienten anzunehmen, der in kurzer Abfolge zwei Suizidversuche unternommen hatte, ergab ich mich seiner Beharrlichkeit. Zwei Jahre und drei Monate später beendeten wir die Behandlung, die vielleicht mehr dank ihm als dank mir zu einem grossen Erfolg geworden war, auch wenn ich meine Rolle und meinen Beitrag zu dieser Situation nicht schmälern möchte.
Was durchgesickert war, war eben einer der Punkte, die ich illustrieren möchte. Ein bekannter Analytiker, der den Patienten fünfmal die Woche gesehen hatte, hatte nicht bemerkt, dass alles, was er zu dem Patienten sagte, den Patienten nur noch mehr verstörte. Als der Patient mir die Deutungen und die Mitteilungen des Analytikers darlegte, konnte ich sehen, dass sie analytisch tadellos waren, aber kurz gesagt, das Wie und das Wann, mit dem der Patient behandelt wurde, war ganz offensichtlich desintegrierend, und so muss auch die vielleicht unbewusste Absicht des Analytikers gewesen sein.
Der Patient beging einen Suizidversuch, während er bei einem Analytiker in Behandlung war, der unfähig war, in ihren täglichen Treffen die geringste Gegenseitigkeit aufzubauen. Eine der ersten Aufgaben bestand darin, diese Wirkung zu löschen und sich darauf zu konzentrieren, bei der Organisation seiner unmittelbaren Existenz behilflich zu sein, wobei es die Rolle der Therapeutin war, einen organisierenden Faktor und eine beruhigende Wirkung anzubieten. Er hatte eine schwere Zeit, als er zur Universität zurückkehrte, an der er Professor war, und zum Labor, wo er eine grosse Zahl ausländischer Ärzte hatte; sie studierten Dermatopathologie mit ihm. Ich forderte ihn auf, mir die Einzelheiten zu erzählen, die zum Erdbeben geführt hatten (ich wollte das Wort Suizid nicht verwenden). Ich achtete darauf, wann immer möglich seinen Standpunkt einzunehmen, um damit eine paranoide Antwort zu vermeiden und seine Angst zu vermindern. Ich betone hier ein wichtiges Prinzip, das der Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit des Patienten und meiner eigenen Wirklichkeit. Rückblickend ersetzte ich die despotische Strenge, mit der sein Vater sein Leben geregelt hatte, durch annehmbare Vorschläge. Ich folgte [Blaise] Pascals Maxime: Ein Zitat erzielt mehr Beachtung als wenn ich dasselbe in meinen eigenen Worten ausdrücke. Pascal sagte: «Wenn wir mit Gewinn zurechtrücken wollen, und dem anderen aufzeigen, dass er irrt, müssen wir innewerden, von welcher Seite der andere die Sache sieht, denn von dieser Seite ist sie für gewöhnlich wahr, und wir müssen ihm diese Wahrheit zugestehen, und ihm dann die Seite enthüllen, auf der sie falsch ist.»3)
Bei zahlreichen Gelegenheiten begegnete dieser Mann Autoritätspersonen zu seinem eigenen Schaden auf dem Boden der Indoktrination, die er durch seinen Vater erfahren hatte. Vaterübertragung und sein Umgang mit männlichen Autoritätspersonen nahmen in seiner Therapie viel Raum ein. Ein Dilemma bildete die Art und Weise, Fallmaterial zu präsentieren. Er schrieb mir später:
Als ich zu Ihnen kam, betäubt und verwirrt wie ich war, war ich mir meiner Entschlossenheit absolut sicher, ein weiteres «Erdbeben» zu verhindern, und ich war gerüstet, gemeinsam mit Ihnen alles zu unternehmen, was es brauchte, um dieses Ziel zu erreichen. Sie standen in Ihrer üblichen Art bereit, um mir die Wohltat Ihrer Fertigkeiten und Ihrer Weisheit anzubieten, und sie leiteten mich dabei an, Sie optimal zu «gebrauchen». Die Bühne war bereitet für die Verwandlung, die begann. Da gab es noch andere Zutaten, beispielsweise eine hohe Intelligenz auf beiden Seiten, hartnäckige Entschlossenheit und ein gegenseitiges Wohlwollen. Sie führten an, ich folgte, und ich war hellwach mit Ihnen bei jedem einzelnen Schritt dieses Wegs. Nie war ich von der Aufgabe abgelenkt. Ich schwang ‹im Takt› mit Ihrem Gehirn, dem für die Logik zuständigen Teil und dem für das Fühlen zuständigen Teil, und ich verleibte es mir mit meinem Gehirn ein … Ich kann Ihnen keine biochemische, biophysikalische oder subzelluläre Erklärung dafür geben, wie das geschah. Ich weiss es nicht, und ich zweifle daran, ob es jemals jemand wissen wird.
Das ist es, was ich als Qualität der Gegenwart beschreibe, als Mit-Sein, als es Erfahren, als eine Art Zuzuhören. Als ich mich in Behandlung befand, verfuhr ich so wie er, nur noch entschlossener. Sehr wenige Menschen gingen nach meiner Erfahrung die Sache so an, und zogen deshalb weniger Nutzen aus der Erfahrung.
Quellen
Brunschvicg, Leon, Herausgeber (1904), Pensées de Blaise Pascal. Tome Premier. Paris: Librairie Hachette et Cie. Wiederabdruck: Vaduz: Kraus Reprint Ltd., 1965.
Eigler, Gunther, Herausgeber (1973), Platon, Werke in acht Bänden, Griechisch und Deutsch, Band II. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft.
Fromm-Reichmann, Frieda (1950), Principles of Intensive Psychotherapy. Chicago: The University of Chicago Press.
Pascal, Blaise (1670), Pensées. In: Brunschvicg (1904).
Platon (1818), Des Sokrates Apologie, aus dem Griechischen übersetzt von Friedrich Schleiermacher, bearbeitet von Heinz Hofmann. In: Eigler (1973, S. 1–69).